Auf der Karte des Sternerestaurants «Cracco» in Mailand stand bis vor kurzem eine der meistgefeierten kulinarischen Kreationen des gesamten Internets: Die Antwort von Mastermind Carlo Cracco auf die Frage, die wahrscheinlich noch vor Henne und Ei kam.
Wie kocht man das perfekte weiche Ei?
Cracco trennt das Ei, gefriert das vorsichtig in Semmelbröseln panierte Eigelb und frittiert es dann ganz kurz. Anschliessend wird das aussen knusprige, innen flüssig warme Eigelb mit ein wenig in Rotwein gegartem Blumenkohl auf einem Spiegel aus Kartoffelpüree serviert. Stellt man ChatGPT die gleiche, obenstehende Frage, erhält man ein recht gutes, eher erwartbares Ergebnis: Ei per Löffel ins sprudelnde Wasser legen, genau 6 Minuten kochen, sofort in Eiswasser abschrecken.
Knallharte wachsweiche Fakten
Im «Cracco» zahlte man für das aufwendig zubereitete, cremig-knusprige Erlebnis 50 Euro. Kostenlos dazu gab es für dieses Überraschungs-Ei sicher jede Menge Applaus auf Social Media und die Inspiration, das einmal selbst nachzumachen. Das KI-optimierte Ei nach klassischem Rezept kostet 10 Minuten in der Küche und weniger als einen Franken. Dafür bekommen wir beim Sonntagsfrühstück vielleicht ein zufriedenes Kopfnicken. Aber würden Tausende unser #perfektesfrühstücksei liken oder es auf YouTube nachkochen?
Moment mal
Wer genau mitgelesen hat, wird spätestens jetzt einwenden, dass hier nicht mal Äpfel mit Birnen verglichen werden. Schliesslich hat Carlo Cracco sich bewusst über das Briefing hinweggesetzt: Das Eiweiss spielt keine Rolle in seinem Rezept, das dazu noch einer sehr halbgaren Definition von «kochen» folgt. Kann menschliche Kreativität der rasend schnellen Effizienz künstlicher Intelligenz also nur Lösungswege entgegenstellen, die zwar aussergewöhnlich sind, aber beispielsweise im budgetfixierten Agenturalltag allenfalls bei aufmerksamkeitsstarken Leuchtturmprojekten Anwendung finden?
«Gut & günstig» vs. «aussergewöhnlich & aufwendig»?
Dieser Rezeptvergleich von künstlicher und natürlicher Intelligenz übersieht ein entscheidendes Ass im menschlichen Ärmel: Intuition. Dabei geht es nicht darum, nach fünfmal Rot beim Roulette alles auf Schwarz zu setzen, weil man «irgendwie so ein Gefühl» hatte. Intuition stellt vielmehr Beziehungen zwischen (scheinbar) weit voneinander Entferntem her und kreiert dadurch im besten Fall etwas komplett Neues. So konnte beispielsweise Albert Einstein die Relativitätstheorie erst Jahre, nachdem er sie intuitiv formuliert hatte, logisch begründen.
Neben unserer Erfahrung benutzen wir für solche unbewussten Prozesse auch Faktoren, die sich einem erkennbaren Regelwerk und damit der möglichen Lösung durch künstliche Intelligenz entziehen. Intuition umfasst auch den Kontext kultureller Eigenheiten, Emotionen wie Empathie oder Ähnlichkeiten mit weit Entferntem. Und selbst wenn einer KI neben allem vorhandenen Wissen auch der komplette menschliche Erfahrungsschatz zu Verfügung stünde: Aus dem Verknüpfen von allem mit allem ergäbe sich nur eine (beinahe) unendliche Menge an möglichen, aber zu 99.99 % falschen Lösungen. Zur richtigen gelangen wir nur mit Intuition.
Überraschend perfekt
Den überraschend «direkten» Weg zum perfekten weichgekochten Ei haben neulich italienische Forscher gefunden: Das Team um Ernesto Di Maio und Emilia Di Lorenzo arbeitet an der Universität von Neapel im Bereich Materialwissenschaften. Sie liessen sich von der Herstellung mehrschichtiger Schäume zu diesem Musterbeispiel intuitiver Kreativität inspirieren: Ein zimmerwarmes Ei wandert für genau 2 Minuten in einen Topf mit 100 °C heissem Wasser. Danach kommt es ebenfalls für genau 2 Minuten in einen Topf mit exakt 30 °C warmem Wasser. Diese beiden Schritte werden sieben Mal wiederholt, und nach genau 32 Minuten geniesst man das ideale weichgekochte Ei. Sein Geheimnis: Die unterschiedlichen Temperaturen, bei denen Eiweiss und Eigelb fest werden. Das weiter aussen liegende Eiweiss ist der Temperatur des kochenden Wassers direkter ausgesetzt. Weil es im Vergleich zum Eigelb schon bei etwa 5° weniger stockt, ist es nach dieser Methode fest und gerade nicht mehr flüssig. Das später stockende Eigelb bekommt durch die Lage im Inneren etwas weniger Wärmeenergie ab und wird durch das Wechselbad cremig-flüssig.
Krönender Abschluss
Natürlich setzen auch wir in den unterschiedlichen Stufen der Kreation AI ein. Aber für wirklich inspirierenden Geschichten und Lösungen braucht es intuitive Zündfunken für den elektrisierenden Überraschungsmoment. Damit sie nicht nur ankommen und Likes generieren, sondern uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern, von dem wir unbedingt sofort jemandem erzählen müssen.
Wir suchen dein Rezept! Was italienische Materialwissenschaftler können, kannst du schon lange? Sende uns deine überraschende, intuitive Lösung eines Alltagsproblems.