Zurück zur Übersicht
 Sprach- und Debattenkultur: Gendern? Eine Kontroverse mit mir selbst.
 
Stories 16, 22.08.2022
Inspiration

Sprach- und Debattenkultur: Gendern? Eine Kontroverse mit mir selbst.

Gendern polarisiert. Kein Wunder, weil Sprache grosse Auswirkungen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben hat. Und Inklusion spielt nicht nur beim Sprachgebrauch, sondern allgemein in der Diskussionskultur eine zentrale Rolle. Es geht wie bei allen Debatten – besonders bei solch emotionalen – um gegenseitiges Zuhören und darum, auch eigene Muster zu durchbrechen.

Kürzlich habe ich den Club auf SRF geschaut zum Thema, ob Gendern in der deutschen Sprache Sinn macht oder nicht. Eine wohltuende, ausgewogene und auf gegenseitiges Zuhören basierende Diskussion. Eher eine Seltenheit heutzutage. Dabei stellte ich fest: Ich bin selbst hin- und hergerissen bei dieser Debatte. Erstaunlicherweise fanden die Voten einer Dame, die eher auf der Gegenseite meiner Meinung angesiedelt war, am meisten Zustimmung bei mir. Wieso? Sie war unsicher, hatte zwei Herzen in der Brust. Wie ich. Politisch gesehen ist es eines meiner allerwichtigsten, wenn nicht sogar das wichtigste Anliegen überhaupt: Alle Menschen sollen die gleichen Rechte haben, sichtbar sein und maximale Akzeptanz erfahren. Sei dies hinsichtlich ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung. Somit befürworte ich eine Sprache, die konsequent alle Menschen inkludiert. Im Gegensatz dazu spüre ich als Sprachliebhaber immer wieder Widerstände in mir, sobald ich gewisse Wörter plötzlich nicht mehr benutzen kann oder Sätze durch zahlreiche Sternchen oder Doppelpunkte nicht nur unleserlich, sondern auch visuell völlig unattraktiv werden.

Wie meist bei politischen Themen sind die Fronten verhärtet. Und Sprache ist politisch, wie eigentlich unser ganzes gesellschaftliches Zusammenleben. Einige sprechen von Sprachpolizei aus der «woken, linken Szenen» oder finden, es gäbe dringendere Probleme. Andere ertragen in dieser Sache keinen Widerspruch und sind damit genauso diskussionsunfähig. Die angesprochene Sendung auf SRF war ein gutes Indiz dafür, wie die Gesellschaft hier an einem sprachlichen Wendepunkt ist und wir in vielleicht 20 Jahren lächelnd darauf zurückschauen. Ein grosses Thema, auch in Zeiten von Krieg, Rohstoffknappheit und Klimakrise. Sprache ist ein Mittel, unser Zusammenleben mit Leitplanken zu versehen. Sie beeinflusst unser Denken und unsere Werte als Gemeinschaft massgeblich. Und gesellschaftliche Veränderungen gehen immer von Minderheiten aus. Das war schon immer so.

Wie aber weiter mit der Frage, ob wir nun gendern sollen? Und wenn ja, wie überhaupt? Mit Doppelpunkt, Sternchen, der Paar- oder Partizipform? Stand heute, Sommer 2022: Es werden unterschiedliche Wege ausprobiert, aber DIE Lösung ist noch in weiter Ferne. Wir bei bühler&bühler haben klare Guidelines formuliert, nach denen wir konsequent texten.

Die Diskussion könnte uns ein Beispiel dafür sein, miteinander einen Konsens zu finden. Friedrich Nietzsche sagte: «Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel.» Das trifft auf viele Diskussionen zu und sollten wir uns besonders bei diesem Thema zu Herzen nehmen. Das Ziel ist eine Sprache, in der sich alle zuhause fühlen. Der eingeschlagene Weg ist oft eine verhärtete Front, die keine Widerrede akzeptiert. Schauen wir die ganze Debatte doch als sprachhistorisch spannende Zeit an, in der die Weichen neu gestellt werden. Historisch aber auch in Bezug darauf, wie wir Diskussionen führen. Aktuell brennende Ereignisse und weltpolitische Entwicklungen lassen das Zuhören vermissen. Dabei sind wir als Menschheit immer nur vorwärtsgekommen, wenn wir aufeinander zugegangen sind. Auch eine Lösung für das aktuelle Sprachthema kann nur im Konsens stattfinden. Denn die Sprache gehört uns allen und sollte alle einschliessen.